Rund 700 Demonstrant*innen aus ganz Hessen kamen am 25. April 2024 nach Wiesbaden, um beim bundesweitem Protesttag auf dem Wiesbadener Kranzplatz mitzumachen. Zu den Redner*innen der Kundgebung gehörte auch die hessische Sozialministerin Heike Hofmann. Sie unterstützt die Forderungen des Bündnis für Inklusion und Teilhabe für bessere Bedingungen in der Ausbildung zur Heilerziehungspflege.
Fachkräfte, die in der Heilerziehungspflege arbeiten, kann man sich nicht mal eben im Supermarkt besorgen. Das machen in einem Sketch auf der Bühne zwei Vertreterinnen des Werkstattrats der Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD) deutlich. Der Bedarf ist jedoch groß, denn die Zahl der Auszubildenden liegt deutlich unter derjenigen der benötigten Fachkräfte. Weniger als 300 Absolventinnen und Absolventen werde es laut Kultusministerium im laufenden Jahr in Hessen geben, erläutert Dr. Thorsten Hinz, Vorstand NRD für das Bündnis. Der Bedarf an Fachkräften liege jedoch bei rund 3.000 Personen und wachse jährlich aufgrund des demografischen Wandels. Von Schulgeldbefreiung über erleichterten Zugang zur Ausbildung in der Heilerziehungspflege bis zur Vergütung der praxisintegrierten Ausbildung reicht die Liste der Forderungen des Bündnis.
Alles Anliegen, die Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) ausdrücklich unterstützt. Sie kündigt in ihrer Rede eine Abschaffung des Schulgelds genauso an, wie Lösungen für einen Zugang in das Berufsfeld mit Hauptschulabschluss. Neben der Vergütung für praxisintegrierte Ausbildung bestehe ein wichtiger Baustein für eine Reform in der Anpassung der Lehrpläne an die gesellschaftliche Entwicklung. Hierzu sei sie im Gespräch mit Kultusminister Armin Schwarz (CDU). Das Bündnis sei gerne bereit, die Landesregierung bei der Umsetzung zu unterstützen, betont Hinz, der sich für die klaren Worte der Ministerin bedankt.
Am 27. September 2023 kamen 300 Demonstrant*innen aus ganz Hessen auf den Wiesbadener Kranzplatz, um gegen die derzeitigen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu protestieren. Die Hauptreden hielten Bianca Girschik-Benderoth, Leiterin und Prokuristin der Akademie für Pflege- und Sozialberufe Mission Leben, und Dr. Thorsten Hinz, Vorstand der Nieder-Ramstädter Diakonie. Sie erläuterten, welche erschwerten Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Heilerziehungspflege bestehen und verwiesen auf das Positionspapier, das die Forderungen des Bündnisses enthält. Auch Heilerziehungspfleger*innen, Menschen mit Beeinträchtigung sowie Eltern und Angehörige kamen bei der Demo zu Wort und machten lautstark auf die bestehenden Missstände aufmerksam.
"Ich bin nicht berühmt, ich bin nicht schön, ich bin nicht reich. Ich bin nur einmalig." (Julia Bertman)
Von einem Menschen wie diesem möchte ich euch erzählen. Ich habe einen Kumpel, toller Typ. Mein Kumpel hat das Down-Syndrom, und wenn wir durch die Stadt laufen, fallen wir auf. Dank ihm kommen wir überall vergünstigt rein, manchmal ganz ohne Eintritt – deshalb machen wir so viel zusammen.
Die Spendierhosen hat Michael, so nennt er sich selbst, allerdings selten an. Manchmal kauft er Geburtstagsgeschenke für Freunde und Familie und findet die so geil, dass er sie dann für sich behält. Ich wünschte oft, meine Oma würde das machen, ihre Geschenke für sich behalten, oder ihre Meinung.
Michael wohnt im Betreuten Wohnen der Lebenshilfe in einer WG, wird dort von mir betreut und geht in einer Behindertenwerkstatt arbeiten. Er lebt in einer Fantasiewelt, seit seine Eltern, die ihn sehr lieb hatten, fast zeitgleich gestorben sind. Ab und zu denkt er, er wäre Alf vom Planeten Melmac. Deshalb mach ich mir manchmal Sorgen um ihn und um seine Katze – Minka.
Kennengelernt habe ich ihn, da hat er noch Zuhause gewohnt. Abends saß er auf einem unausgebauten Speicher vor einem schneestöbernden Fernseher. Über ihm ein falsch herum aufgehängtes Kreuz und in seiner Hand ein Besenstiel, an dem er ein Küchenmesser befestigt hatte. „Fahr da mal hin, ist ein netter Typ“, hatte mein Chef gesagt.
Stimmt – und interessant ist er auch. Michael wird nämlich nie Geschichten oder Geschichte schreiben, außer seiner eigenen, und die ist wunderschön. Denn er ist nicht nur ein furchtbar liebenswerter Kerl, sondern auch Mr. Michael Martins vom FBI in New York, und handelt auf direkten Befehl seines Präsidenten – Mr. Könnt Biden. Klingt lustig. War es, bis er sich mit Handschellen in meinem Auto festgekettet hatte. Magier ist er nämlich auch, nur leider ohne Magie und ohne Schlüssel.
Obendrein spricht der Agent aus den Staaten natürlich Englisch. Ähnlich wie meine Mutter. Michael hat sich sein Englisch durch das Schauen von Beavis and Butt-Head auf MTV selbst beigebracht, und ich muss mich jetzt mit Sätzen wie „What is‘n dis“, „What the going on“ und „Oh shit it is me“ oder „gor not“ rumschlagen. Ausdrücke wie „Ach yes“ habe ich sogar schon in meinen eigenen Wortschatz übernommen.
Klingt vielleicht alles etwas verrückt, aber ich lasse ihn. Denn wir denken alle viel zu wenig darüber nach, welche Funktionen unsere Macken wohl erfüllen mögen. Ich muss ihn ja nicht darin bestärken, aber ich kann ihn annehmen, wie er ist. Habt ihr mal versucht, Menschen zu verändern? Klappt nicht, nicht einmal bei uns selbst. Nicht falsch verstehen, ich finde es wichtig, über Dinge zu sprechen, zuhören aber noch viel wichtiger.
Jedenfalls würde Mr. Martins sicher nicht merken, dass er Down-Syndrom hat, wenn nicht immer alle davon reden würden. Wenn es also für ihn so unwichtig ist, wieso ist es dann für uns so wichtig?
Ich für meinen Teil zähle keine Chromosomen. Michael macht das auch nicht, das obwohl er sogar damit angeben könnte, denn er hat ja eines mehr als ich. Jedenfalls zählt er keine Chromosomen, aber er zählt auf mich. Trotzdem ist das Down-Syndrom keine Krankheit, nichts, was Mitleid erfordert. Michael Martins hat seine eigene Realität und hat gelernt, mit uns anders Denkenden zu leben. Ich frage mich, können wir das auch? Was auf ihn zutrifft, muss doch auch irgendwie auf uns zutreffen. So wie wir sind, sind wir gut. Wir brauchen keine bessere Version von uns.
Der hat es nicht leicht, sagen die Menschen und zeigen mit dem Finger auf ihn. Der hat es nicht leicht?! Pfff, wir kommen überall vergünstigt rein, und ich fahre dank ihm umsonst Bus und Bahn.
Wenn Michael im Frühling neue Kleidung für den Sommer braucht, nimmt er eine Schere, schneidet überall Ärmel und Hosenbeine ab. Zack – „Dis is my summerlook.“ Er hat nicht nur Money in the Buchs, sondern auch immer frisch geschmierte Butterbrote. Nicht in einer Brotdose, nein, in der Buchs. In der einen Tasche Butterbrot und in der anderen immer einen Teelöfel. Der einzige meiner Klienten, bei dem ich mir je gewünscht habe, dass er den Löffel abgibt. Er ist der einzige Mensch, der in einen Mc Chicken beißt und felsenfest behauptet, er sei Vegetarier.
Wenn andere mich darauf ansprechen, warum er so selbstständig ist, dann sage ich ihnen immer: „Weil seine Eltern ihn selbständig haben werden lassen.“ Heute, nachdem seine Eltern gestorben sind, lasse ich ihn. Er hat jetzt eine eingebildete Familie. Das ist okay, denn wirklich eingebildet, das bin leider manchmal ich. Wenn seine Gedanken in eine Richtung gehen und ich zu wissen glaube, dass sie in eine andere gehen müssten. Ich gebe unangebrachte Ratschläge, wo sein Geist die Ausflüge macht, die meiner nötig hätte. Ja, er ist anders. Aber das ist okay, denn die Welt ist voller Menschen, die anders sind.
"Ich bin nicht berühmt, Ich bin nicht schön, ich bin nicht reich. Ich bin nur einmalig." (Julia Bertman, Poetin mit Down-Syndrom)
– Der Verfasser des Textes, Sascha Kirchhoff, ist Kulturreferent und arbeitet im Betreuten Wohnen der Lebenshilfe Dillenburg.
„Wow. Den Beruf könnte ich nicht machen. Respekt!
Seit 3 Jahren arbeite ich schon mit schwerst-mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen, die alle lebensverkürzt erkrankt sind. Sie kommen zur Kurzzeitpflege in unsere Einrichtung. Hin und wieder kommt auch mal eins zum Versterben. Ich höre also seit 3 Jahren immer wieder diesen Satz:
„Wow. Den Beruf könnte ich ja nicht machen.“
Natürlich ist es kein einfacher Job. Weder in meiner Einrichtung noch in einer anderen. Es gibt Tage, die wie im Fluge vergehen und an denen viel gelacht wurde. Es gibt aber auch Tage, an denen wir uns wünschten, unsere Schicht sei endlich vorbei, denn dieser ist womöglich ein physisch und psychisch anstrengender Tag.
Dann gibt es viele Leute, denen nicht bewusst ist, was wir in unserem Beruf eigentlich machen. Ein paar Mal musste ich den Satz schon hören: „Ach mit den Behinderten musst du doch nur raus gehen und ab und zu den Arsch abwischen!“ Nein! Mein Beruf ist viel mehr als das. Zu meinen Aufgaben könnte gehören, dass ich eventuell auch beim Toilettengang unterstützen muss. Doch es ist nicht immer eine einfache Aufgabe. Verschiedene Farben, Konsistenzen und Gerüche können Hindernisse darstellen. Manche denken sich vielleicht: „Redet die jetzt ernsthaft über Kacke?!“ Ja. In der Einrichtung, in der ich arbeite, sind Stuhlgang, Urin, Speichel und sämtliche andere Körperflüssigkeiten Teil meines Alltags.
Doch mein Job ist mehr als nur Pflege und „ab und zu mal raus gehen“. Ich unterstütze und assistiere in allen möglichen Lebenslagen und -situationen. Meine Aufgabe kann sein, einen Termin für meine Klient*innen zu vereinbaren und sie dorthin zu begleiten. Meine Aufgabe könnte auch sein, die Menschen mit Beeinträchtigung auf der Arbeit zu unterstützen.
Mein Beruf ist so viel mehr.
Uns HEPs ist es wichtig, dass jeder Mensch die gleichen Chancen hat, an der Gesellschaft teilzunehmen. Es gibt leider zu viele Barrieren, die dies nicht möglich machen. Dafür gibt es uns! Wir wollen Inklusion und Teilhabe für jeden ermöglichen. Wir setzen uns mit und für Menschen mit Behinderung ein, damit auch sie ein Teil der Gesellschaft sein können.
Unser Job ist mehr als Arsch abwischen.
HEP sein bedeutet Unterstützung.
HEP sein bedeutet Assistenz.
HEP sein bedeutet Inklusion.
HEP sein bedeutet Teilhabe.
HEP sein ist toll.
HEP sein macht Spaß.
HEP sein ist hipp.
Oder wie meine Mama immer so schön sagt: „Einen Engel ohne Flügel nennt man Heilerziehungspfleger.“
Deswegen ein HEP HEP Hurra auf unseren Job. Unser Job ist so vielfältig, was ihn auch so toll macht.
Doch er wird leider nicht nur schlecht bezahlt, sondern er bekommt auch noch sehr wenig Aufmerksamkeit und wenig Anerkennung.
Nicht viele kennen diesen Beruf. Oft wurde ich schon gefragt, was das ist. Heilerziehungpflege?! Unser Job braucht mehr Aufmerksamkeit! Außerdem dauert es viel zu lange bis man ausgelernt ist, wenn man kein Abitur hat. Drei Jahre Berufserfahrung, um die Ausbildung zu beginnen und dann nochmal drei Jahre Ausbildung. Also 6 Jahre bis man ausgelernt ist…
Diese und noch mehr Punkte, die auch im Positionspapier stehen, müssen sich ändern.
Das fordern wir und wir fordern es heute!
„Wow. Respekt. Den Job könnte ich ja nicht machen.“
Ja. Wir auch nicht – nicht so!
– Die Verfasserin des Textes, Emelie Schreiber, ist HEP-Schülerin an der Fachschule für Sozialwesen des Lebenshilfe Landesverbands Hessen.